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Wirtschaftsplattform Irak, August 2011                                                                            zurück zur Übersicht

Von Nübbel nach Nadschaf

Der Architekt Alexander Hilgendorff plante in Abu Dhabi Wolkenkratzer. Dann verschlug ihn die Wirtschaftskrise in den Irak. Ein Lehrstück über Erdbeermarmelade und den richtigen Ton.

Und jetzt also ein Ziegelwerk, irgendwo an der Straße zwischen Kerbala und Nadschaf. Investitionen von rund 20 Millionen Dollar. Endlose Reihen Hochlochziegel. „Eigentlich habe ich keine Ahnung, warum wir den Zuschlag dafür bekommen haben“, sagt Alexander Hilgendorff, „ich bin doch im Grunde nur ein kleiner Stadtarchitekt.“

Hilgendorff schaut aus dem Fenster seines Architekturbüros Hoops + Hilgendorff auf das Buckelpflaster des Rendsburger Paradeplatzes. Unkraut schießt durch die Ritzen, Regen prasselt darauf. Seit einem Jahr erst ist er im Irak aktiv, und jetzt hat er so ein dickes Ding an der Backe. „Innerhalb von acht Monaten müssen wir wohl Investoren für das Ziegelwerk gefunden haben. Dann können wir die Sache richtig zu Ende planen.“

Alexander Hilgendorff ist ein kräftiger Mann, 36 Jahre alt. Er beschäftigt 40 Mitarbeiter, projektiert in Deutschland Wohn- und Bürogebäude, Logistikhallen, Klär- und Windkraftanlagen. Eigentlich wollte er gar nicht in den Irak. Er ging nach Abu Dhabi, um dort imposante Wolkenkratzer in den Himmel zu bauen. Bis ihn die Wirtschaftskrise aus dem boomenden Paradies in den darbenden Irak vertrieb. Vom Regen in die Traufe? „Ach was“, sagt Hilgendorff, „wir versuchen es halt. Es kostet nichts, es schadet nicht. Und die Aussichten dort sind doch gar nicht so schlecht. Aber es ist schon merkwürdig, wohin einen eine Bierlaune verschlagen kann.“

Denn Hilgendorff und der Irak, das bedeutet auch Hilgendorff und Hinz. Jens Hinz, der ältere Freund, den er seit Kindertagen kennt und von dem er noch heute nur drei Straßen entfernt wohnt in seinem Heimatdorf Nübbel. Jens Hinz ist 51 Jahre alt und ein umtriebiger Mann, als ehemaliger Manager eines Industriekonzerns erfahren im Nahen Osten. Mit ihm hat Hilgendorff im Jahr 2006 nebenher die Zwei-Mann-Firma GBIS – German Building & Industrial Service GmbH gegründet, um im Ausland schlüsselfertige Industriebauten zu projektieren, in Personalunion mit Hoops+Hilgendorff. Das Ziegelwerk ist ihr erstes gemeinsames Projekt im Irak. „Geschäfte macht man dort, wo der Markt sich bewegt“, zitiert Hilgendorff seinen Freund Hinz, „egal, ob nach oben oder unten.“

Dorthin gekommen sind sie allerdings über einen Umweg. Hinz und Hilgendorff spielen schon ewig gemeinsam Volleyball, und irgendwann im Jahr 2005 fordert Hinz Hilgendorff nach dem Spiel auf, ihn auf einer Geschäftsreise nach Dubai zu begleiten. Fünf Tage später sieht Hilgendorff die Wolkenkratzer, ist aus dem Häuschen, und er bekommt von Hinzes Gesprächspartnern gleich einen Planungsauftrag für ein großes Gebäude in Abu Dhabi. Weitere Projekte schließen sich an, und Hilgendorff richtet 2006 im Emirat für sein Architekturbüro eine Dependance ein, in der zu den besten Zeiten 25 Menschen arbeiten. Es ist eine gute Zeit, obwohl sie mit der GBIS weniger Erfolg haben. Sie wollen Küchen exportieren, ein Betonwerk bauen, eine Fabrik für einen Holzverbundstoff errichten – „da konnten wir nichts umsetzen“, sagt Hilgendorff, „aber es hat Spaß gemacht.“ Dafür laufen seine Geschäfte mit Hoops+Hilgendorff blendend.

Bis drei Jahre später die Wirtschaftskrise auch in den Emiraten zuschlägt. Auftraggeber werden klamm, brechen Verträge, fordern Nachlässe. „Das aber haben wir nicht akzeptiert“, erinnert sich Hilgendorff, „und innerhalb weniger Monate standen wir auf der schwarzen Liste. Damit waren wir raus aus dem Geschäft.“

Und kurz danach sind sie auf dem Sprung in den Irak. Weil Hinz und Hilgendorff gemerkt hatten, dass sie miteinander können. „Hinz ist Technik“, sagt Hilgendorff, „ich bin Bau, Steine, Erden.“ Vor allem aber, weil es sich schlichtweg anbot.

Alexander Hilgendorff wirkt nicht wie ein Blatt im Wind, aber in den Irak treibt ihn letztlich der Zufall. In seinem Büro in Abu Dhabi arbeiten damals neben Deutschen, Pakistani, Syrern und Indern auch zwei irakische Architekten, und kurz bevor der Laden im Herbst 2010 dichtgemacht wird, schlagen sie vor, zurückzukehren in den Irak, um für Hinz und Hilgendorff nach interessanten Projekten zu suchen. Hinz ist skeptisch, Hilgendorff spricht mit anderen deutschen Unternehmen über ihre Erfahrungen und erinnert sich an die goldenen Zeiten, als der kaputte deutsche Osten nach der Wende wieder aufgebaut werden musste, und er denkt sich: „Im Irak ist es doch ganz ähnlich, das ist sehr verlockend.“ Und so packt er im Mai letzten Jahres den Bürokram in einen Container und verschifft ihn nach Basra. „Was soll ich denn mit arabischen Tastaturen in Deutschland“, sagt Hilgendorff, „und wir hatten wirklich ein gutes Verhältnis zu den Irakern. Also sind wir losgegangen. Der Container steht jetzt in einem Garten in Kerbala, die Computer laufen in einem kleinen Büro. Wir sind jetzt da und werben für uns als Planungsbüro, wollen herausfinden, wo wir kontinuierliches Geschäft generieren können ohne riesige Konkurrenz. Unser Risiko ist gering. Ohne ein abgesichertes Projekt investieren wir kein Geld in Vorleistungen, wir können also nichts verlieren. Wir haben Leute vor Ort, denen wir vertrauen und die etwas können. Ich hoffe sehr, dass wir dort Fuß fassen.“

Ein Jahr Irak - seine ersten Enttäuschungen hat Alexander Hilgendorff mittlerweile verarbeitet. In Abu Dhabi drehte er das große Rad. Und im Irak? „Niederschmetternd“ seien die ersten Monate gewesen. Tolle Kontakte nutzen mit lokalen Mitarbeitern – wenn das so einfach wäre. „Die waren 18 Jahre im Ausland, da kommt man nicht so schnell wieder an den Küchentisch“, sagt Hilgendorff. „Skepsis ist ihnen entgegengeschlagen, so nach dem Motto: Ihr habt im schönen Abu Dhabi gesessen und redet jetzt von großen Investitionen, wir aber haben hier nicht mal Strom und sauberes Wasser.“ Hilgendorff musste das zwar nicht groß kümmern, weil seine Mitarbeiter auf freier Basis für ihn arbeiten und eigentlich nur im Erfolgsfall bezahlt werden. Aber natürlich hängt das Herz dran, Zeit und Gedanken. Zwar haben Hilgendorffs Leute weitgehend freie Hand, aber sie telefonieren mindestens zweimal die Woche und stimmen sich mit ihm ab. „Ich will wenigstens wissen, was passiert.“

Hilgendorff hat einen großen Vorteil: Ganz bewusst will er nicht selbst in irakische Bauprojekte investieren, sondern lediglich im Auftrag von Investoren planen und organisieren. So kann er sich Geduld leisten. Und es sieht ganz so aus, als würde diese Geduld belohnt. Seine beiden Iraker haben sich durchgebissen und letztlich doch Leute gefunden, die mit ihnen reden wollen. So hat Hilgendorff bei Stadtplanungs-Projekten in Kerbala, Hillah und Bagdad zumindest gute Plätze belegt und dadurch viel lernen können. Er hat gemerkt, dass Mega-Projekte meist nichts werden und die Konkurrenz bei Wohn- und Bürogebäuden viel zu groß ist, es also schlauer sein könnte, sich auf Kläranlagen oder Brücken zu konzentrieren. Mit der Nadschaf Science City konnte Hilgendorff für einen Universitäts-Campus zumindest den groben Plan erarbeiten – „und jetzt wird da wirklich gebaut“.

Am Beispiel der Nadschaf Science City hat Hilgendorff freilich auch gelernt, wie das so läuft im Irak. Die Grobplanung musste er verschenken, und die Feinplanung durfte er nicht übernehmen, weil ein Konkurrent den Investoren einen Entwurf umsonst zur Verfügung stellte. Natürlich hat sich Hilgendorff geärgert – „aber wir haben eine echte Baustelle, darum geht es schließlich“. Und seine beiden Iraker bekamen dort einen Beratervertrag, was ihr Auskommen sichert und Hilgendorff entlastet.

Alexander Hilgendorff bewegt sich durch den Irak ohne große Rosinen im Kopf. Er sei ins Ausland gegangen, weil er dort Leute treffen wollte, mit denen er nicht über den Schattenwurf eines Baumes auf das Gründstück des Nachbarn diskutieren müsse, sagt der Architekt. Aber Hilgendorff achtet darauf, dass sein Irak-Konto in den schwarzen Zahlen bleibt, und so bleibt er bei seinen Wurzeln, macht im Irak auch das, was er aus Deutschland nun wirklich schon lange kennt: Ingenieursleistungen im Paket, für um die 15000 Dollar. Ein Klärwerk planen, ein Krankenhaus, Logistikgebäude. Arbeit gibt´s nur gegen Geld, womit er auch noch nie Schiffbruch erlitten habe. „Sicherheit ist mir wichtig“, sagt Hilgendorff, „deshalb lege ich auch Wert auf diese eher kleinen Sachen. Und Vorplanung auf eigenes Risiko – das ist für mich völlig undenkbar.“

So hält er es auch mit Jens Hinz und der GBIS. Viel ist da bislang nicht gelaufen. So schlug der erneute Versuch mit einer Fabrik für einen Holzverbundstoff offenbar fehl, weil es im Irak nicht genug Holzabfälle aus dem Sperrmüll gibt. „Und Palmholz stinkt wegen den Palmöls“, sagt Hilgendorff, „das kann man nicht nehmen.“ Außerdem haben Hinz und Hilgendorff zu Testzwecken mal eine Palette Erdbeermarmelade in den Irak geschickt und feststellen müssen, das sie statt zwei Wochen drei Monate unterwegs ist, was ihre Aktivitäten nicht gerade beflügelte. Weshalb sie das Werk nun in Kairo einrichten. Und ihr Versuch, deutsche Landtechnik im Irak zu verkaufen, scheiterte jüngst an der Entscheidung der Behörden, doch wieder wie üblich osteuropäische Traktoren, Pflüge und Eggen zu importieren.

Aber nun ist da das Ziegelwerk. Ein Glückstreffer für Hinz und Hilgendorff, erinnerte sich doch einer ihrer irakischen Architekten daran, dass schon Saddam diese Tongrube an der Straße zwischen Kerbala und Nadschaf ausbeuten wollte. Der Mann rang dem Babil Investment Commitee auch eine Lizenz ab, für Grube und Werk. Wie üblich wird die GBIS kein eigenes Geld hineinstecken, aber sie werden die Sache planen und entwickeln. Die Tonerde ist in einem deutschen Labor getestet und laut Hilgendorff „prima für Ziegelbrand.“ Vorverträge mit einem Maschinenlieferanten sind gemacht, und gebaut werden muss im Irak ja nun wirklich genug.

Jetzt müssen Hinz und Hilgendorff nur noch Unternehmer finden, die ihr Geld mit irakischen Ziegeln verdienen wollen. Angst vorm Scheitern hat der „kleine Stadtarchitekt“ Alexander Hilgendorff jedenfalls nicht. „Die großen Firmen hier im Irak haben dieselben Probleme wie ich. Das beruhigt. Und wenn ich hier eines gelernt habe, ist es Geduld. Inschallah.“

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