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brand eins, September 2010                                                                                                zurück zur Übersicht

Schluss. Jetzt.

Den eigenen Betrieb dichtmachen. Weil es an der Zeit ist. Das gilt als Niederlage, als Unglück.
Hier die Geschichte von Menschen, die es besser wissen.

I. Der Stratege

"Ich habe Vermögen gesichert. Ich habe meine Aufgabe erfüllt."

Er führte ein Familienunternehmen in Bad Urach, einem 12 000-Einwohner-Ort am Fuße der Schwäbischen Alb. Eine Gegend, die nicht gesegnet ist mit Industrie. Zuletzt hatte er gut 180 Mitarbeiter. Er war die fünfte Generation, Spross einer angesehenen Unternehmerdynastie.

Und dann hat er den Betrieb geschlossen. Ohne dass ihm das Wasser bis zum Hals stand. "Es war eine Amputation", sagt Werner Gross. Der 57-Jährige ist ein kräftiger Mann mit festem Händedruck und offenem Blick. Sieht so ein Verlierer aus?

Menschen wie er gelten schnell als gescheitert, am Markt oder an sich selbst. Sie gelten als Verschwender des Familienerbes und als verantwortungslose Gesellen, die ohne Not Menschen auf die Straße setzen. "Über Betriebsschließungen moralisieren, das kann man prima von außen", sagt Gross. Ich habe den Betrieb fortgeführt, solange es ging, aber Strukturveränderungen kann man nicht aufhalten. Ich habe ein reines Gewissen. Eine Niederlage war die Schließung bestimmt nicht. Es war der beste Weg."

Gross ist gerade 30, als er 1982 die Gebrüder Gross GmbH übernimmt. Er hat Betriebswirtschaft studiert und arbeitet in Kanada im Vertrieb einer Textilhandelsfirma. Eigentlich will er in einer Unternehmensberatung anheuern oder in einem Großkonzern, als sich der Vater aus der familieneigenen Spinnerei zurückzieht und der Sohn die Nachfolge antritt.

Er übernimmt eine Firma in Schwierigkeiten. Das Unternehmen spinnt Fäden für Hemden und Hosen, doch deren Produktion wird nach Nordafrika verlagert. Einfach hinterherziehen ist unmöglich - "eine Spinnerei ist schließlich keine Nähmaschine". Immer wieder verkauft die Familie Immobilien und steckt das Geld in den laufenden Betrieb. Man versucht sich an neuartigen Garnen und Textilien. "Als ich anfing, wollte ich das Geschäft noch ausbauen", sagt Gross. "Zumindest wollte ich es halten."

Er setzt auf die Nische und beginnt, Mischgarne zu spinnen, aus Baumwolle, Seide und Angora, aus Natur- und Kunstfasern. Nerz-Haare spinnt er zu seidenweichen, glänzenden Fäden, und er steigert den Exportanteil von 20 auf 40 Prozent. "Wir hatten über Jahre eine gute Rendite."

Aber im Jahr 1983 verliert Gross einen Hauptkunden. Er legt seine beiden Werke zusammen und fährt die Produktion herunter. "Im Grunde wurde mir damals schon klar, dass alles seine Zeit hat", erinnert er sich. "Aber ich habe das jahrelang nicht wirklich an mich herangelassen."

Das ändert sich nun. Er sorgt vor. "Ich musste die Sache als Kaufmann sehen", sagt Gross, "nicht wie meine Vorgänger. Das waren technikverliebte Ingenieure. Sie haben stetig Prozesse optimiert, aber das Familienvermögen zehrte sich langsam auf. Was nützen gute Prozesse, wenn einem die Kunden wegbrechen? Mir wurde klar: Ich brauche eine Rückzugslinie, um aussteigen zu können, wenn es nicht mehr geht."

Aushalten bis zum bitteren Ende - das wollte Gross auf keinen Fall. Er entschied: "Was Mehrwert bringt, wird erhalten. Wo das nicht gelingt, müssen wir aufhören."

Es ist dieser Schritt, der vielen Unternehmern so schwerfällt. "Dass sie erkennen, wenn ihr Zenit überschritten ist, das ist die totale Ausnahme", sagt Burkhard Jung, Vorstandsvorsitzender der CMS Unternehmensberatung in Berlin. "Sie haben etwas aufgebaut, das wollen sie nicht aufgeben. Sie hoffen, dass ein Wunder geschieht. Und dann wird das Weitermachen oft zum Siechtum. An dessen Ende steht nicht selten der Tod des Unternehmens."

Gross tappte nicht in diese Falle. "Ich bin nicht so der Traditionalist", sagt er. Und die Familie sei froh gewesen, dass sich jemand kümmert.

Er stellt die Weichen für die Betriebsschließung ganz bewusst schon viele Jahre, bevor er sich zu diesem endgültigen Schritt entschließt. 1983 spaltet er die Gebrüder Gross GmbH in einen Betriebs-Teil und eine Immobiliengesellschaft auf. Das Ziel: Mit den Erträgen aus der Fertigung werden die Immobilien entschuldet. Gelingt das, kann er im Notfall die Fertigung verkaufen. Der Familie blieben die Immobilien. "Einen Ausstieg muss man planen", so Gross. "Am Ende geht es bei einem Betrieb doch darum, Geld zu verdienen für die Gesellschafter. So änderte sich der Geschäftszweck. Früher war es Spinnen und Weben, jetzt wurde es Spinnen und Immobilien. Das war die Grundsatzentscheidung. Der Rückzug begann."

Das klingt sehr kühl und kalkuliert, aber so leicht fällt Gross der Ausstieg dann doch nicht. Bereits nach fünf Jahren sind die Immobilien schuldenfrei, doch er hält weiter an der Spinnerei fest. Investiert in neue Maschinen, exportiert in 40 Länder. Immer wieder habe es in diesem zyklischen Geschäft Phasen gegeben, in denen er den Betrieb hätte verkaufen können, sagt er. "Aber natürlich war ich verwurzelt in diesem Betrieb. Da steckte Herzblut drin. Das gibt man nicht einfach auf."

Bis er 1992 auf einem Textil-Kongress in Seoul endgültig erkennt, dass die Zeit um ist. Die Branche legt Zahlen auf den Tisch: acht Prozent Überkapazität bei der weltweiten Produktion, fünf Prozent davon entfallen auf Europa. Die Südkoreaner klagen über zu hohe Kosten, obwohl sie nur ein Viertel der deutschen Löhne zahlen und der Strom halb so teuer ist. "Die verlagerten ihre Produktion nach Vietnam", erinnert sich Gross. "Ich habe die Spinnereimaschinen im Hafen gesehen. Mir wurde klar: Die werden die Massenhersteller in Europa abschießen, und die werden dann in die Nischen drängen. Also dorthin, wo ich schon war. Da habe ich radikal umgedacht. Ich musste einsehen, dass ich raus muss aus dem Textilgeschäft. Ich musste diesen Weg gehen, denn ich durfte kein Geld vernichten. Wenn die Zahlen sprechen, ist kein Platz für Sentimentalität. Als Unternehmer hat man die Pflicht, alles zu tun, was machbar ist. Aber nicht mehr. Es ging nur noch darum, die Schließung anständig über die Bühne zu bringen."

Zu diesem Zeitpunkt erwirtschaftet Gross einen Jahresumsatz von rund 30 Millionen Mark. "Wirtschaftlich ging es uns noch gut." Doch er merkt, wie die Preise sinken. Er versucht, den Betrieb im Paket zu verkaufen, um die Jobs zu erhalten. Vergeblich. "Mögliche Käufer wollten nur den Kundenstamm und die Produkte. An der Fertigung und den Mitarbeitern war niemand interessiert." Nach einem Jahr, 1993, schließt er "aus Pragmatismus" mit einem größeren Konkurrenten ein Joint Venture. "Der hat ein paar Maschinen übernommen, die Kunden und die Garne. Mehr nicht. Aber ich konnte nicht länger warten. Der Druck wurde zu groß. Und dann musste ich vor die Mitarbeiter treten und die Stilllegung verkünden."

Gross erinnert sich noch genau. An die Schockstarre in den Gesichtern. An die wütenden Leserbriefe in der Lokalzeitung. An die bösen Blicke auf der Straße. "Bad Urach ist eine Kleinstadt. Da kann man sich nicht in der Anonymität verstecken." Mehr als 180 Mitarbeiter, darunter viele Angelernte, verlieren ihren Arbeitsplatz.

Im Jahr 1994 ist endgültig Schluss. Schulden bezahlt, Betrieb dicht. Wie kann er das mit seinem Gewissen vereinbaren? Menschen entlassen und selbst abgesichert sein? "Die Leute reden oft über Dinge, die sie nicht verstehen", sagt Gross. "Sie wünschen sich eine heile Welt. Aber das führt zu nichts. Zu diesem Zeitpunkt hatten in Europa bis zu 100 Spinnereien geschlossen. Gegen diesen Trend konnte ich mich nicht stemmen. Hätte ich gezögert, wäre das Ende eben ein halbes Jahr später gekommen. Für die Mitarbeiter hätte das nichts geändert. Die Familie allerdings hätte Vermögen verloren. Wo läge da der Sinn?"

Im vergangenen Jahr hat Werner Gross auch seine Anteile an der Immobilien-Gesellschaft verkauft. "Gebrüder Gross" ist Geschichte. Auf dem Gelände stehen heute ein Supermarkt, Werkstätten und Lager. Nach einer Zeit als Geschäftsführer anderer Unternehmen ist Werner Gross vor fünf Jahren bei der CMS AG als Unternehmensberater eingestiegen.

Nur wenige Firmeninhaber sprechen so offen über das Thema wie Gross. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, den Schlussstrich zu ziehen, und wie verlockend, stattdessen auf das Prinzip Hoffnung zu setzen. "Unternehmer zu sein bedeutet aber nicht nur, etwas aufzubauen, sondern auch, etwas zu schließen", sagt er. "Es sind Entscheidungen zu fällen. Es wäre ja schön, würden wir in ewigen Gründerzeiten leben. Aber dem ist nicht so. Wir wollen Globalisierung, also müssen wir auch die Folgen tragen. Aber das begreift längst nicht jeder."

Gross macht den Eindruck eines Menschen, der mit sich im Reinen ist. Das liegt wohl maßgeblich daran, dass er seiner eigenen Firma selbstbestimmt ein Ende gesetzt hat, bevor ihm die Konkurrenz die Luft abdrückte. "Abwickeln", sagt Gross, "das bedeutet auch, sich abzufinden mit dem Verlust. Die Zeit war einfach um, und das erkannt zu haben ist eine unternehmerische Leistung." Er trauere der alten Zeit nicht nach.

"Mein Glaube an die Nische hat nur gut zehn Jahre funktioniert, aber ich habe alles Sinnvolle versucht und Vermögen gerettet. Ich habe meine Aufgabe erfüllt."

II. Der Rentner

"Ich habe alles erreicht. Man muss auch gönnen können."

Ein kleiner Mann steht im Garten vor seinem Haus mit schmiedeeisernen Gittern vor den Fenstern. An der Giebelwand prangt ein Wappen mit Amboss und Hammer. Er pflückt Bohnen und freut sich: "Das ist schon die dritte Ernte dieses Jahr."

Bruno Lescheticky aus Pulheim bei Köln scheint ein glücklicher Mensch zu sein. Obwohl sein Übergang in den Ruhestand nicht so lief, wie er sich das ursprünglich vorgestellt hatte. Lescheticky hatte einen Metallbaubetrieb mit fünf Angestellten. Den wollte er an einen Nachfolger übergeben, doch der sprang ihm ab. Er versuchte, seine Firma zu verkaufen, aber auch das misslang. Als er die Reste losschlug, kam nicht viel in die Kasse. Da hat er den Laden dichtgemacht. Vor etwa einem Jahr war das. Jetzt ist er 67. "Es ist vorbei, ich bin sorgenfrei", sagt er, "denn ich habe alles erreicht, was ich wollte."

Das klingt erstaunlich. Denn wer sich umhört unter Handwerkern, hört immer wieder, wie grauenhaft es sei, wenn man seinen Betrieb aufgeben muss. Da sterbe eine Tradition und der Stolz gleich mit. Auch fehle das Geld, wenn der Verkauf scheitert, weil der erhoffte Erlös fest für die Altersversorgung eingeplant war. Das ist immer öfter der Fall: Im Kammerbezirk Düsseldorf etwa reduzierte sich die Zahl der Betriebsübernahmen innerhalb von fünf Jahren von 174 auf zuletzt 136 Fälle. "Erwartungen an einen auskömmlichen Erlös aus einem Verkauf werden regelmäßig enttäuscht", sagt Alexander Konrad, Sprecher der Düsseldorfer Handwerkskammer.

Warum ist Bruno Lescheticky dann so entspannt? "Wissen Sie", sagt er, "ich habe meine Sachen immer so gemacht, wie ich es wollte. Und nicht so, wie die anderen meinten, dass man es tun soll." Ursprünglich wollte er Landschaftsgärtner werden, wird dann aber Schlosser. Bei einem Onkel in Köln lernt er sein Handwerk, mit 25 steigt er in eine kleine Schlosserei ein. Nach 16 Jahren kauft er eine Halle im Gewerbegebiet und übernimmt die Firma ganz, ohne dass er dafür Geld bezahlen muss.

"Ich wollte immer etwas machen, das nicht für die Tonne ist", sagt er. Das gelingt ihm über viele Jahre. Der Metallbauer fertigt Treppen, Tore, Fenstergitter, Geländer, Balkone - "und nicht nur dieses 08/15-Zeug". Türen für eine alte Mühle zum Beispiel, mit Oliven aus Messing. "Das Tüfteln hat mir immer Spaß gemacht." Bis er merkt, dass er alt wird. Da ist er Mitte 50 und denkt das erste Mal ans Aufhören. Er hat keine Kinder, also auch keinen möglichen Nachfolger in der Familie. Er stellt einen jungen Mann ein, lässt ihn den Meister machen. "Der sollte mein Nachfolger werden. Der Vertrag war schon vorbereitet. Und plötzlich hatte der keine Lust mehr."

Lescheticky ist frustriert. Und macht weiter. Fünf Jahre später startet er neue Versuche. Über die Handwerkskammer sucht er Käufer. Und wird abermals enttäuscht. "Ich dachte, es wird schon einer kommen, der meinen Betrieb will. Und dann springen Interessenten ab, weil sie meinen, der sei nichts wert. Das war deprimierend. Ich machte um die 500 000 Euro Umsatz im Jahr und hatte keine Schulden. Die Geschäfte liefen gut. Ich hatte doch alles richtig gemacht."

Es ist diese Situation, in der Handwerker oft den Tunnelblick bekommen. Sie machen immer weiter, suchen vergeblich nach Käufern - bis zur Pleite. Lescheticky dagegen zieht rechtzeitig die Reißleine. Er will nicht mehr suchen. Er will nicht mehr rackern. Er will raus aus dem Hamsterrad. "Mit 60 Jahren springen Sie nicht mehr so leicht über Gerüste." Er beschließt, sein Unternehmen aufzugeben. Im April 2009 kündigt der Chef seinen fünf Mitarbeitern, nach und nach wechseln sie auf andere Stellen. Im August ist endgültig Schicht.

Lescheticky kann sich diesen Exit leisten, denn er ist nicht auf einen hohen Verkaufspreis angewiesen. "Ich habe eine Rente und eine Lebensversicherung, und meine Frau und ich haben immer schwer gespart. Wir sind nicht dreimal im Jahr in den Urlaub gefahren." Das ist die Basis für seine neue Freiheit. Natürlich habe er die Maschinen und das Material verkauft - "aber dafür bekommt man nur noch den Schrottpreis".

Das hätte es gewesen sein können. Ein Ende, sang- und klanglos. Familientradition, der Wunsch, das Geschaffene zu bewahren - das sind Gedanken, mit denen der Metallbauer wenig anfangen kann. "Ich bin doch nur ein kleiner Meister", sagt Lescheticky, "ich muss keine Dynastie gründen. Ich habe ein Haus, meine Frau, einen Platz, an den ich gehöre. Ich habe keine Ziele mehr." So ein Betrieb - am Ende sei das doch nur ein Haufen toter Gegenstände. "Es ist nicht das, was ich gemacht habe. Es ist nur der Rest. Mein Lebenswerk steht in ganz Köln. Die Türen, die Tore. Meine Sachen werden mich überleben."

Trotz dieser pragmatischen Haltung - vielleicht aber auch gerade deswegen - bedeutete das Ende seines Betriebes nicht auch das Ende seiner Berufstätigkeit. Der Mann, der nichts mehr wollte, bekam einen neuen Job. War es Zufall, war es Fügung? "Auf jeden Fall ist es ein großes Glück", sagt er, und dann erzählt er das letzte Kapitel der Geschichte, und man mag es kaum glauben.

"Der Betrieb war dicht, und wir fegten schon die Halle aus", erinnert sich Lescheticky an den Sommer 2009, "da kam ein Metallbauer vom Stadtrand auf der Suche nach einem neuen Standort. Ganz plötzlich, wie der Frosch aus dem Teich. Innerhalb von zwei Wochen hat er die Halle gekauft, und im September hat er dort seinen eigenen Betrieb eröffnet."

So findet Leschetickys Arbeit ihre Fortsetzung. Es ist nicht sein Betrieb, aber er hat seinen Anteil daran. Er hat seine Halle sehr günstig abgegeben, die alte Telefonnummer und den Kundenstamm gab er kostenlos dazu. "Man muss auch gönnen können", sagt er. Seitdem betreut er seine alten Kunden, etwa 20 Stunden im Monat, als 400-Euro-Kraft. "Wenn mal 'ne Tür klemmt oder ein Geländer wackelt. Ich will ja nichts mehr verdienen. Nun habe ich noch ein bisschen Spaß, das ist besser als Golf."

Er schnappt sich den Eimer mit den Bohnen, geht langsam zurück ins Haus. "Bei mir ist alles in Butter", sagt Lescheticky, "und die Tomaten sind auch bald reif."

III. Der Wechsler

"Ich will mich weiterentwickeln. Auch ein Unternehmer muss das dürfen."

"Das tut man nicht."

"Entweder Konkurs oder weitermachen, so gehört sich das." "Sie sind wohl pleite. Ab jetzt nur noch gegen Vorkasse."

So reagierten Lieferanten und Kollegen, als Peter Rausch seinen Betrieb vor zehn Jahren schloss. "Vielleicht macht es anderen Angst, wenn man einfach aufhört", erklärt er sich die harschen Reaktionen. "Aber wo steht denn geschrieben, dass man seinen Betrieb nicht abwickeln darf? Ich hatte gute Gründe. Ich war 40 Jahre alt. Ich wollte etwas Neues machen. Man hat doch nur ein Leben. Jeder Arbeitnehmer darf sich weiterentwickeln, darf die Stelle und die Firma wechseln. Er soll lebenslang lernen. Ein Unternehmer muss das doch auch dürfen."

Rausch sitzt in seiner Wohnung in Düsseldorf. Ein massiger Mann mit einer Vorliebe für sehr starken Kaffee, 50 Jahre alt. Ein Schrank, ein Schreibtisch und ein Computer: Das ist die Firma Software Hardware Peter Rausch. Er verkauft seine Computerprogramme an kleine Metallbaubetriebe, für Verwaltung, Konstruktion, Aufmaß. Dafür hat er den elterlichen Metallbaubetrieb aufgelöst, mit 17 Angestellten, und damit eine mehr als 50-jährige Firmengeschichte beendet. "Um das Ende zu verstehen, muss man an den Anfang gehen", sagt er.

Rauschs Vater gründet die Firma 1946. Der Handwerker "mit seinem dreckigen Beruf" gilt als das schwarze Schaf der Beamtenfamilie. Sein Sohn Peter kommt nach ihm und will Schlosser werden statt Abitur zu machen. Mit 21 ist er der jüngste Schlossermeister im Kammerbezirk, steigt in den väterlichen Betrieb ein und übernimmt mit 29 die Führung.
Der Vater ist sein Vorbild. "Ein guter Betriebswirt, der ordentlich akquiriert", sagt Peter Rausch. Die Firma arbeitet für Kommunen, für die Post und gelegentlich auch für Privatkunden. Kabelgestelle, Stadionumbauten - aus 12 werden schnell 17 Mitarbeiter. Rausch kauft eine 500-Tonnen-Abkantpresse und steigt in ein neues Geschäft ein: Fortan produziert er Brückenteile und Chassis für Bahnen und Lkw. So wie sein Vater ist Peter Rausch stolz auf das, was er tut.

Und trotzdem hört er im Jahr 2000 auf. Warum?

"Ich war nicht in Not", sagt er, "aber das Risiko wurde mir zu groß." Rausch spürt die Konkurrenz im klassischen Metallbau; außerdem investieren die Kommunen immer weniger. Die Abkanterei floriert nach wie vor, doch das Grundstück wird langsam zu klein für diese Art von Aufträgen. Ein Wechsel des Standortes käme teuer. Ob der Umsatz dafür überhaupt reichen würde?

Viele Unternehmer reagieren auf solche Anforderungen nach dem Motto: Augen zu und durch. Man tut, was man kann, und expandiert gern. Man nimmt Kredite auf und versucht sein Glück. Risiko gehört zum Geschäft.

Rausch aber tickt anders. "Unternehmer wollen gemeinhin wachsen, aber Unternehmertum ist doch keine Frage der Größe. Es ist eine Lebenseinstellung. Ein Unternehmer identifiziert sich mit dem, was er tut. Er will gestalten. Und natürlich möchte er für sein Risiko auch entsprechend Geld verdienen."

Er brauche, so sagt er, keinen Apparat, um Unternehmer zu sein. "Und Tradition", sagt er, "das ist etwas, was von außen herangetragen wird. Wenn Tradition bedeutet, dass man sich in sein Schicksal fügen soll, ist das nicht meine Sache."

Diese Einstellung gibt ihm die innere Freiheit, sich von seinem Betrieb zu trennen. Dass er die Chance auch nutzt, ist allerdings kein Zufall. Der damals 40-Jährige kann und will sich nicht zur Ruhe setzen: Er will etwas Neues anfangen. Das unterscheidet ihn von vielen Unternehmern, die sich allein deshalb nicht von ihrem Betrieb trennen, weil sie gar nicht wüssten, womit sie sich ohne ihn beschäftigen sollten.

Rausch hat eine Alternative, denn er ist vielfältig interessiert. Er ist seit jeher aktiv in der Innung, bei den Junioren des Handwerks. Er setzt sich gemeinsam mit Politikern erfolgreich für das Meister-Bafög ein. Er reist für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit nach Lateinamerika und hält dort Vorträge. "Bei all dem habe ich gelernt, dass man nicht engstirnig durch die Gegend laufen darf. Das hat mir bei der Abwicklung meines Betriebes geholfen, denn ich wusste, dass ich auch irgendwo neu einsteigen kann."

Wie das gehen kann, weiß Rausch schon zwei Jahre, bevor er sein Unternehmen auflöst. "Software fand ich immer spannend. Ich habe mir ein paar Sachen selbst geschrieben." Seit 1998 vertreibt er nebenher Software von Fremdanbietern für Metallbetriebe wie seinen eigenen. "Ich habe das laufen lassen, und es entwickelte sich rasant."

Software - das ist die Alternative, über die Rausch nachdenkt, als ihm das Metallbau-Risiko zu groß wird. Sein Vater gibt ihm freie Hand, und als ein Nachbar sein Betriebsgelände kaufen will, geht er mit sich ins Gericht. Er schreibt sich einen Zettel. Pro Abwicklung: neue Arbeit, mehr Ruhe, künftigen Problemen aus dem Weg gehen. Kontra: Unsicherheit, Verantwortung für die Mitarbeiter, Gesichtsverlust.

Die Entscheidung sei ihm sehr schwergefallen, sagt Rausch. "Aber irgendwann habe ich gemerkt, dass ich das Alte nicht mehr will. Und als das klar war, sollte es auch schnell gehen, damit der Schmerz ein Ende findet."

Er kommt damals gar nicht auf den Gedanken, sein Unternehmen an einen Nachfolger zu verkaufen. "Vielleicht hätte ich damit mehr Geld verdient, aber der hätte vor den gleichen Fragen gestanden wie ich." Er verkauft sein Grundstück an den benachbarten Karosseriebauer, stellt seine Maschinen bei Händlern zum Verkauf. Seine Kunden vermittelt er an ehemalige Konkurrenten. "Nach einem Vierteljahr war alles vorbei. Dann stand ich in der leeren Halle und habe geheult. Ich habe Abschied genommen, so wie beim Tod eines nahen Angehörigen."

Zumindest musste er sich keine Vorwürfe wegen der Mitarbeiter machen. Er hat seine Leute entlassen, aber weil sie gut waren und die Buschtrommel laut, kamen sie gut unter. "Ich musste nicht aktiv nach neuen Stellen für sie suchen", sagt er. "Die Konkurrenz hat sie gerne übernommen." Einer ging in den Vorruhestand, einer sattelte um auf Lehrer.

Zehn Jahre später, im Zimmer mit Peter Rausch. Da nippt ein Mann an seinem Kaffee, nimmt sich Zeit, und eigentlich sagt das schon alles. "Mir fehlt der Betrieb schon", sagt Rausch, "aber nur sehr selten. Im Grunde fühle ich mich befreit. Von der Verantwortung, von dieser steten Hetze, die solch eine Firma mit sich bringt. Ich kann mir meine Zeit einteilen, und Zeit ist für mich der größte Luxus."

Er arbeitet heute nicht weniger als früher. Er verdient auch nicht viel weniger, denn seine neuen Geschäfte laufen gut. Und doch, erzählt er, seien die Unterschiede gewaltig. Rausch reist durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Er verkauft seine Software und schult die Mitarbeiter seiner Kunden. "Die wollen, dass ich extra zu ihnen fahre - ich erfahre eine Wertschätzung, wie ich sie in meinem Metallbauerdasein nie erlebt habe. Da war ich nur einer von vielen."

Die alte Firma - für Peter Rausch ist sie Geschichte. "Das war ein Lebensabschnitt. Aber was ich heute bin, wäre ohne sie nicht möglich gewesen. Persönliche Zufriedenheit, das ist mein Ziel, und ich habe es über einen Umweg erreicht." Warum solle er da die Abwicklung seiner alten Firma als Niederlage begreifen?

Im Gegenteil, sagt Rausch. Er habe dabei etwas sehr Wichtiges gelernt. "Man ist auch als Unternehmer nur seinem Gewissen verpflichtet. Anderen gegenüber, aber auch gegenüber sich selbst. Das bedeutet, dass man sich selbst nichts Schlechtes antun darf. Man muss tun, was für einen selbst das Richtige ist. Und es gibt keine vorgezeichneten Wege. Man kann immer ausbrechen."

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