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brand eins, November 2007                                                                                              zurück zur Übersicht

Nach der Generation Teigling

Keiner mag sie, doch es gibt sie überall: die riesige, hohle Einheitssemmel. Gute Brötchen sehen anders aus. Und sind viel profitabler.

Es ist ein beliebtes Spiel am Frühstückstisch. "Warum ist da ein Luftloch im Brötchen?", fragt das Kind. "Da hat der Bäcker drin geschlafen", antworten die Eltern, und alle lachen. So gesehen, scheint in Deutschland eine ganze Branche in den Tiefschlaf gefallen zu sein. "Luftbrötchen", sagt auch Michael Wippler, Bäckermeister in Dresden und Landesobermeister des Innungsverbandes Saxonia. "Es nützt uns nichts, das zu beschönigen: Wir haben ein Qualitätsproblem. Die deutschen Bäcker haben es geschafft, aus immer weniger Mehl immer größere Brötchen zu backen. Und das merken die Leute."

So offen wie Wippler spricht kaum ein deutscher Bäcker über die Probleme seiner Branche. Lieber wird über miese Zahlen geklagt: Gab es in den fünfziger Jahren in Westdeutschland noch 55 000 handwerkliche Bäckereien, sind es heute nur 12 000. Nimmt man Ostdeutschland hinzu, sind es 16 000. Ihr Marktanteil bei Brot, Brötchen und Gebäck liegt bei nur 50 Prozent. Den Rest teilen sich Großbäckereien und Back-Discounter.

Die Frage ist, warum die Handwerksbäcker dem wenig entgegensetzen. Eberhard Groebel, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Bäckerhandwerks, verweist zuerst einmal auf die Kunden. "Die Verbraucher entscheiden selten nach Geschmack, sonst gäbe es wohl auch kein Fastfood. Und sie können die Anbieter kaum mehr unterscheiden. Jeder Discounter sieht heute aus wie ein Bäckerladen."

Hinzu kämen wirtschaftliche Gründe. "Bei den Großbäckereien sind die Stückkosten viel geringer als beim Handwerksbäcker. Wenn die Qualität dann nicht besser ist, entscheiden die Kunden nach dem Preis." Das Gespräch dauert eine ganze Weile, dann sagt er: "Die Verluste liegen nicht nur an der Konkurrenz, sondern auch an uns selbst."

Die deutschen Handwerksbäcker haben sich in eine Zwickmühle hineinmanövriert, aus der sie kaum mehr herauskommen. An ihrem Anfang steht:

Bequemlichkeit

Deutsche Bäcker bieten rund 300 verschiedene Sorten Brot an, in einem Bäckerladen liegen jeden Morgen bis zu 120 unterschiedliche Produkte. Das Problem ist: Um sie herzustellen, hat der Bäcker nur eine Nacht Zeit. Teig bereiten, Füllungen kochen, backen. Und: Backen ist Schwerarbeit. Ohne Maschinen, sagen viele Bäcker, sei das nicht machbar. Außerdem erfordert Backen eigentlich Zeit, denn der Teig braucht Ruhe, damit am Ende ein gutes Produkt herauskommt.

Deshalb backen Bäcker immer weniger selbst - was zulasten der Qualität geht. Das gibt allerdings kaum ein Bäcker zu. "90 Prozent glauben, dass sie hohe Qualität herstellen", sagt Günther Wohlers, Chefredakteur des Fachmagazins "Back-Business". "Dabei backen viele Bäcker schlechter als die Industrie." Warum? Den Großteil der Arbeit hat die Backmittelindustrie übernommen. Rund 8600 Menschen erwirtschafteten dort im Jahr 2006 einen Jahresumsatz von 1,6 Milliarden Euro. Die Handwerksbäcker mit ihren 270 000 Beschäftigten schafften insgesamt einen Umsatz von 11,9 Milliarden Euro. Die Backmittelindustrie bietet Pulver an, die dafür sorgen, dass ein Sauerteig nach vier statt nach 24 Stunden fertig ist. Oder sie offeriert Körnervormischungen und Fertigteige, aus denen man Croissants, Schokobrötchen oder Plundergebäck herstellen kann. Deshalb schmecken schon beim einzelnen Bäcker verschiedene Produkte ähnlich. Und diese Produkte verwenden Bäcker im ganzen Land, von der Nordsee bis zum Bodensee: Kornspitz, Omega-3-Brot, Wellness-Brot. Produkte, deren Teig vor allem maschinentauglich ist.

In welchem Umfang die deutschen Handwerksbäcker auf diese Produkte zurückgreifen, ist ein Geheimnis. Als Mittler zwischen Industrie und Bäcker fungiert die Bäko, der Fachgroßhandel des Bäckerhandwerks. Die Bäko ist derzeit allerdings umstritten, weil sie auch mit Teiglingen handelt, die nur aufgebacken werden müssen. Die einen sehen darin einen großen Vorteil, andere befürchten, dass der eigene Großhandel die Konkurrenz bei den Discountern versorgt.

Die Industrie gibt sich selbstbewusst. "Ohne uns kann der Bäcker nicht", sagt Amin Werner, Geschäftsführer des industrienahen Backmittelinstituts Bonn. Preisdruck und Verdrängungskampf arbeiten der Industrie zu. Obwohl die Zahl der Bäckereibetriebe abnimmt, bleibt die der Filialen deutschlandweit mit etwa 40 000 Verkaufsstellen gleich. "Und je größer ein Betrieb wird, umso größer werden seine Probleme", meint Werner. Mehr Masse, mehr Maschinen, also auch mehr Bedarf an Teig, der sich gut auf Maschinen verarbeiten lässt. Außerdem fragten die Bäcker verstärkt nach Beimischungen, die bis zu 30 Prozent der Teigmenge ausmachen. "Der größte Teil unserer Produkte geht klar ins Handwerk", sagt Werner. Der Umsatz der Backmittelindustrie ist stabil geblieben - obwohl die Zahl der Handwerksbetriebe sinkt.

Gleichzeitig drohen die Großbäckereien die Handwerksbäcker in herzlicher Umarmung zu erdrücken. Es geht nicht mehr nur um den Lebensmitteleinzelhandel mit seinem gigantischen Sortiment an Backwaren. "14 000 Aufbackstationen in deutschen Supermärkten und die Tendenz zum schnellen Einkauf", sagt Helmut Martell, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Großbäckereien, "das stärkt die Großbäckereien, denn wir können das bedienen." Aber die Handwerksbäcker haben sich diese Konkurrenz auch längst in die eigenen Läden geholt. Die Großbäcker liefern über die Bäko tiefgefrorene Croissants, Brötchen und Kleingebäck wie Brezeln. "Das macht bis zu 15 Prozent unseres Geschäfts aus", sagt Martell. Endkunden sind die "kleinen handwerklichen Bäcker. Die bieten jeden Tag bis zu 90 verschiedene Produkte an. Wie sollen sie das sonst schaffen?"

Die Frage ist nur, was das bringt. Das Bäckersterben geht weiter. Und knapp 15 000 Bäcker erwirtschaften zusammen nur rund 15 Prozent des Gesamtumsatzes im Backgewerbe. Offensichtlich können viele Bäcker mit einer für sie relativ neuen Situation nicht umgehen: Wettbewerb.

Lange lebten die Bäcker bequem. "Wir hatten das Frischemonopol", sagt Michael Wippler, der Innungsmeister aus Dresden. "Das Produkt war an den Standort gebunden, denn Brot und Brötchen werden alt, während man sie über weite Strecken transportiert." Das jedoch ist seit etwa zehn Jahren vorbei. Damals machte die Kühltechnik aus Backwaren ein Produkt, das sich an jeden beliebigen Ort bringen lässt. Und bei Discountern und im Supermarkt backt man die Produkte dann frisch auf.

Die Handwerksbäcker versuchen mitzuhalten: mit Größe, Masse, aufgeblasener Vielfalt und Snacks. Dabei vergessen sie, was sie wirklich auszeichnen sollte: Qualität. Und verspielen so das Einzige, was Handwerk von der ortsunabhängigen und oft billigeren Konkurrenz unterscheidet.

So werden Kunden herangezogen, die Qualität nicht mehr zu schätzen wissen, weil sie gar nicht erfahren, was das ist. "Generation Teigling", stöhnt Günther Wohlers vom "BackBusiness". Die Handwerksbäcker müssten raus aus der Durchschnittlichkeit, meint er. Sonst reichten auch 2000 große Bäckereien, um die Deutschen mit Backwaren zu versorgen.

Der Kampf gegen die Durchschnittlichkeit ist zunächst eine Frage des Willens -und der darf bezweifelt werden. Vor zwei Jahren startete die Bäckerinnung Hamburg den Versuch eines Gütesiegels, das belegen sollte: keine Fertigmischungen, keine Teiglinge, selbst gemachter Sauerteig. "Doch von 40 Betrieben machten nur 18 mit."

Der Geschäftsführer der Innung, Heinz Essel, lässt sich seine Enttäuschung nicht anmerken. "Handwerker zu bündeln ist das Schwierigste überhaupt. Sie sind Konkurrenten und wollen sich nicht vergleichen lassen", sagt er. Ein ähnlicher Versuch in Westfalen-Lippe war ebenfalls nicht sehr erfolgreich. Von 1000 Bäckern ließen sich lediglich 60 als "Westfalenbäcker" zertifizieren. Damit sind die Handwerksbäcker auf dem besten Weg, sich selbst zu demontieren. Weil sie aufgeben, was sie einzigartig macht:

Erfahrung

Teig ist launisch. Ihn ohne Backmittel in den Griff zu bekommen, das funktioniert nicht mit vorgegebenen Rezepten, Temperaturen und Zeitrastern. Von Lieferung zu Lieferung variieren die Backeigenschaften des Mehls. Ein Grad Temperaturunterschied in der Luft oder im zugegebenen Wasser können eine lockere Mixtur in Brei verwandeln. Je nach Feuchtegrad des Teigs verändern sich Ofentemperatur und Backzeit. Backen - das ist Riechen und Fühlen, Wissen. Dafür braucht man Erfahrung.

Doch viele Bäcker haben verlernt, wie man ohne industrielle Hilfe backt. So mancher kann nicht mehr auf bessere Qualität umschwenken. "Können ist eine Idealvorstellung", sagt Eberhard Groebel vom Deutschen Zentralverband. "In der Praxis ist es sehr unterschiedlich ausgeprägt."

Wollen sie nicht oder können sie nicht? Für Walter Freund ist die Sache klar. Er ist Bäcker und Professor für Lebensmittelwissenschaft an der Universität Hannover, der Titel seines bekanntesten Buches lautet "Handwerk ohne Hände". Er sagt: "Brandteig für Windbeutel herstellen können vielleicht noch zehn Prozent der Bäcker. Das lernt man auf der Bäckerschule. Aber danach ist Schluss. Die Qualifikation geht verloren." Für Bäckermeister Wippler aus Dresden ist die heutige Praxis in der Backstube das eigentliche Problem. "In der Ausbildung wird durchaus auf traditionelle Backverfahren Wert gelegt. Aber schon im Ausbildungsbetrieb finden die keine Anwendung. Wenn aber ein Bäcker sein Wissen nie anwendet, verliert er es. Dann ist die Chance zum Wandel dahin." Das macht ihm Sorge. "Der Fluss ist noch nicht ausgetrocknet, aber er ist deutlich schmaler geworden."

Dabei ist das Backen nur das eine Problem. Das andere ist die Betriebsführung. Seit Kurzem gibt es als Zusatzausbildung zum Meisterkurs den "Betriebswirt des Bäckerhandwerks". Weiterbildung, so Walter Freund, sei "durchweg gering ausgeprägt". Im Jahr 2006 durchliefen 21 000 Bäcker und Verkäufer die Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim und die Fachschulen im Land - inklusive Azubis, von denen es derzeit 36 000 gibt. Zwar bieten die Schulen auch Managementseminare an, aber die werden gerade von kleinen Bäckereien nicht genutzt - obwohl gerade sie es nötig hätten.

Stattdessen hängen viele Bäcker weiter an einem veralteten Verständnis der Betriebsführung: Oben ist der Chef, unten wird gekeult. Der raue Ton ist sprichwörtlich. In der Nacht wird unter Druck gebacken, bis die Nerven blank liegen. Überstunden werden selten bezahlt, gewöhnlich müssen die Angestellten ihre Arbeitskleidung selbst kaufen. Für Kreativität ist kaum Zeit - und sie ist auch nicht gefragt, wenn der Chef seine Ideenfindung an die Vertreter der Backmittelindustrie abgegeben hat.

Auch das treibt die Bäcker immer tiefer in die Misere, weil es verhindert, dass der Nachwuchs vielleicht Qualität und Wirtschaftlichkeit verbindet. Dabei braucht das Handwerk engagierte junge Leute, die was wollen und können. Im Ausbildungsalltag werden solche Talente allerdings wenig gefördert. "Azubis sind heute in den Betrieben die Liberos", sagt Heinrich May, Leiter der Adolf-Reichwein-Berufsschule in Limburg an der Lahn. "Ausputzer" mag er nicht sagen. Im Schnitt werden nach der Lehrzeit vier von 25 Azubis übernommen. "Der Beruf ist oft eine Verlegenheitslösung für diejenigen, die nichts anderes gefunden haben", sagt der ehemalige Bäcker, der seit 37 Jahren an der Berufsschule arbeitet. In seiner aktuellen Klasse haben 70 Prozent der Schüler einen Hauptschulabschluss, 20 Prozent haben keinen Schulabschluss.

"Wer heute ausgebildet wird, steht nicht für die hochwertigen Backwaren der Zukunft", sagt May. "Die Schüler können unter Anleitung backen. Aber kreativ sein, Entscheidungen fällen, einen Betrieb managen? Das können sie nicht. Die schlauesten Bäcker wandern zur Industrie ab. Wir bräuchten eine Qualitätsoffensive", sagt er. "Wir müssten zeigen, dass wir tolle Sachen machen und dafür tolle Bäcker brauchen. Das könnte Nachwuchs anlocken. Wir brauchen Schüler, die stolz sind auf das, was sie tun."

Heinrich May hatte mit Walter Freund zusätzliche Ausbildungsinhalte entwickelt, Technik zum Beispiel und Kalkulation, die den Beruf auch für Realschüler und Abiturienten attraktiv machen sollten. Doch nach vier Jahren war Schluss. Die Bäcker in den Ausbildungsbetrieben zogen nicht mit - ist der Azubi in der Berufsschule, fehlt eine billige Arbeitskraft. Heinrich May sagt: "Vielleicht ist der Druck noch nicht groß genug."

So warten viele Bäcker weiter darauf, dass der Markt sie erledigt. Oder sie versuchen mit der Industrie mitzuhalten: mit noch mehr Vielfalt, noch größeren Betrieben und noch mehr Maschinen, um das zu bewältigen. "Das muss sich ändern, sonst verlieren wir unsere Existenzberechtigung", sagt Bäckermeister Michael Wippler. "Aber überall im Land gibt es einzelne Betriebe, die das begriffen haben. Es gibt eine Tendenz zum Umdenken."

Denn es geht auch anders. Man kann gut backen und trotzdem Geld verdienen. Als Handwerker. Und dabei kommt es nicht auf die Größe an, wenn man bloß immer in die richtige Richtung schwimmt: gegen den Strom.

Der Entdecker

Wenn Georg Kretzschmar über Brote spricht, wirkt er etwas sonderbar. "Brot ist ein Lichtspeicher", sagt der Chef der Hercules Vollkorn- und Mühlenbäckerei in Düsseldorf, Ulmenstraße 120. "Getreide sammelt Sonnenenergie, und die soll in den Bauch des Kunden. Ihn will ich glücklich machen - mit Brot." Man könnte das als Spinnerei abtun. Aber es ist eine Haltung, die den 66-Jährigen seit 30 Jahren im Geschäft hält. Und das im Bio-Segment, in dem inzwischen mit ebenso harten Bandagen gekämpft wird wie im konventionellen, mit einem Betrieb von nur zehn Mitarbeitern, einem einzigen Ladenlokal und 25 belieferten Reformhäusern.

Selbstverständlich verwendet Kretzschmar keine Backmittel und Vorprodukte, das ist bei Bio-Bäckern Standard. Aber Kretzschmars Arbeit beginnt schon weit vor der Backstube. Er ist ein Entdecker. Stetig auf der Suche nach dem Besten für den Bauch, hat er als erster deutscher Bäcker Haferkleie verbacken. Er kennt keine Dogmen: Roggenbrot liegt vielen Kunden etwas schwer im Magen. Also fuhr Kretzschmar vor Jahren zu einer Saatgutbank und besorgte sich Schilfroggen, ein bekömmlicheres Getreide, das kaum jemand kannte. Er fand einen Bauern in der Kölner Bucht, der ihm Jahr für Jahr Schilfroggen anbaute, bis er genug erntete, damit der Bäcker daraus Brote backen kann, die sonst niemand anbietet.

Kretzschmar backt 40 Sorten Brot und 14 verschiedene Brötchen - konsequent in Handarbeit, "denn individuelle Brote stärken das Individuum". Dafür setzt er Vorteig an, der bis zu 20 Stunden lang reifen muss. "Mehrarbeit ist das aber nicht", sagt Kretzschmar, "man muss die Arbeit nur umstellen." Was viele Bäcker für unmöglich halten, entzerrt in der Hercules-Bäckerei sogar die Produktion. Statt wie üblich die verschiedenen Brote im Eiltempo hintereinander zu backen, herrscht hier ein verschachteltes System. Der Vorteil: Der Teig hat Zeit, darf ruhen, sich entwickeln, und in der Produktion gibt es weniger Staus. Denn wenn ein Teig etwas länger braucht, beschäftigen sich die Bäcker eben mit einem anderen. Was schließlich aus dem Ofen kommt, ist oft bekömmlicher als bei der Konkurrenz.

Rechnet sich das? "Man muss den Mut haben, auch die entsprechenden Preise zu nehmen", sagt Kretzschmar. Mit 3,30 Euro für ein großes Roggenbrot ist er beileibe nicht der Teuerste. Außerdem muss man die Kunden zu sich locken. "Also muss man etwas zu erzählen haben", sagt der Bäcker. Zum Beispiel die Sache mit dem Licht im Brot. Kretzschmar schrieb anfangs Ärzte an, die ihm ihre Patienten schickten - noch heute sind einige Stammkunden. Kretzschmar verteilt eine Hauszeitung und druckt Postkarten. Wenn in der Nachbarschaft ein Haus neu bezogen wird, wirft er seine Flyer eigenhändig in die Briefkästen. Hinzu kommt die Mundpropaganda. "Ich bin ein glücklicher Bäcker", sagt Georg Kretzschmar. Tue Gutes und rede darüber - so einfach kann es manchmal sein.

Der Organisator

Wie schafft man es, als Handwerksbäcker in 20 Jahren seinen Jahresumsatz auf 3,3 Millionen Euro mehr als zu verdreifachen und einen Gewinn von zwölf Prozent zu erwirtschaften - auf der gleichen Fläche? Für Josef Hinkel, Bäckermeister in Düsseldorfs Zentrum, liegt die Kunst in der Beschränkung. "Ich stehe für Brot. Bei mir gibt's keinen Kaffee, keine belegten Brötchen, nichts mit Sahne und Creme. Geld? Geld verdient man mit Menge. Und Menge macht man über Qualität."

Jeden Tag verkauft Hinkel in seinen beiden Geschäften die schier unglaubliche Menge von 2,5 Tonnen Brot. Dabei geht er ebenfalls den aufwendigen Weg ohne Backmittel und Vorprodukte. Er hat Öfen, Knetmaschinen und einen Apparat, der ihm die Teighaufen in die richtige Größe hackt. Das war's dann mit der Technik. Den Rest erledigen 70 Bäcker und Verkäuferinnen in Handarbeit. Hinkels Personalkosten fressen 48 Prozent des Umsatzes, ein Spitzenwert. Aber lohnend. Vor drei Jahren schmiss Josef Hinkel seine Brötchenstraße raus und hielt einen zweiwöchigen Einbruch des Umsatzes von acht Prozent aus. Heute verkauft er 40 Prozent mehr Brötchen als vorher, obwohl die einfache Semmel stolze 30 Cent kostet. Preisaktionen gibt es bei Hinkel nicht.

Handarbeit ist Aufwand - den Hinkel durch kluge Organisation bewältigt. "Die Chargengröße ist das Entscheidende", sagt er. Aus wenigen Sorten Grundteig macht er durch die Zugabe von Nüssen, Früchten und Gewürzen 60 verschiedene Brote. "So wird es rationell", sagt Hinkel. Nun kann man auch aus wenigen Sorten immer noch ziemlich viel Mist backen. Doch seine Qualitätssicherung sind seine Mitarbeiter. Jede Verkäuferin darf Ware zurückweisen. Was allerdings selten nötig ist, denn in Hinkels Backstube arbeiten fast ausschließlich ausgebildete Bäcker. "Und die sollen nicht einfach nur Befehle ausführen", sagt Hinkel. "Sonst geht hier alles in die Hose."

Josef Hinkel hat es geschafft, aus seiner Backstube ein sich selbst regulierendes System zu machen, das permanent die Qualität verbessert. Und das gelingt ihm nicht durch Qualitätsregelkreise, sondern durch kluge Führung. Jeder Mitarbeiter ist am Umsatz beteiligt, Überstunden werden extra bezahlt. Hinkels Bäcker hospitieren bei anderen Bäckern und bringen neue Rezepte mit.

Außerdem entscheiden sie selbst, was in der Backstube passiert. Die drei Postenleiter für Brot, Brötchen und Feingebäck arbeiten fast wie Selbstständige, nur mit einem festen Arbeitsplatz. Mit ihrer Gruppe entscheiden sie über Schichtpläne, Neueinstellungen und Urlaubsanträge. Sie planen die Technik, den Produktionsablauf und das Design der Backstube. "Wie wir unsere Arbeit machen", sagt der Brötchen-Postenleiter Karl Heinz Hustings, "da redet uns der Hinkel nicht rein. Und wir können hier alles erfinden. Wenn wir ein neues Brot eine Woche lang in den Sand setzen, ist das in Ordnung." So entstehen jedes Jahr fünf bis sechs Neuheiten, die es nur beim Hinkel gibt. "Und mindestens eine von ihnen wird ein echter Knaller", sagt der Bäckermeister.

Alle Kraft ins Brot und in seine zwei Läden - das ist seine Maxime. Nicht selten verkauft der Chef noch selbst, der bewusst auf Filialen verzichtet. "Das wäre katastrophal, man verliert irgendwann sein Gesicht." Stattdessen ordern Restaurants und Hotels seine Waren. Hinkel macht mit dem Liefergeschäft einen Jahresumsatz von 460 000 Euro. "Was wir machen", sagt er, "ist nur vernünftig."

Der Techniker

180 Mitarbeiter, sieben Tonnen Ware täglich, 21 Filialen - das riecht nach Massenbrotproduktion. Doch wenn Heinz-Gerd Köhler seine Brötchen aufschneidet, steigt ein frischer Duft in die Nase, die weiche Krume ist am Handrücken leicht feucht. "So soll ein Brötchen sein", sagt Köhler, Chef der Bäckerei Der Brotmacher in Klingenberg bei Aschaffenburg. Seine Brote haben ebenfalls Biss.

Köhler ist ein Mann, der mit dem vermeintlich Schlechten das Gute schafft: mit moderner Technik. Er schaut auf ein jährliches Umsatzwachstum von durchschnittlich zwölf Prozent zurück - auf gleicher Fläche, genau wie Josef Hinkel. "Bis vor zehn Jahren war ich ein Tütenbäcker", sagt Köhler. "Heute gilt: jedes Produkt aus einem eigenen Teig. Und den machen wir selbst." Köhler hat Maschinenbauer gelernt, vielleicht schafft er das deshalb. Er passt nicht den Teig den Maschinen an, sondern die Maschinen dem Teig. Möglich wird das nur durch ein äußerst enges Sortiment. Der Brotmacher produziert nur 20 Sorten Brot und 15 Sorten Brötchen, dazu Kuchen und Gebäck.

Der Brotmacher ist mit seiner Menge trotzdem zu groß, als dass jede Charge in individuell eingestellten Öfen gebacken werden könnte. "Wir müssen deshalb möglichst früh möglichst präzise arbeiten, damit es später keine Qualitätsverluste gibt", beschreibt Köhler seine Arbeitsweise bei der Teigbereitung. Für seinen Vorteig aus Weizen hat er sogar eine eigene Maschine konstruiert - auf dem Markt, sagt er, war nichts Vernünftiges zu finden. Beim Roggensauerteig setzt er dagegen weiterhin auf Handarbeit - die Masse in den weißen Plastikkübeln ist zu unberechenbar. "Wir setzen Technik ein, wo es geht", sagt Köhler. "Sofern sie das Produkt nicht verändert."

Bei Köhler formt niemand die Brötchen mit der Hand. Dass die Maschine trotzdem keinen Ausschuss produziert, liegt daran, dass Köhlers computergesteuerte Teigmischer auf drei Gramm genau wiegen und dass in jedem fertigen Teigbottich ein Funkthermometer steckt, das die Daten an die Teigmaschine schickt, die daraufhin die Wassertemperatur des nächsten Bottichs anpasst. Und auch daran, dass die Teigmaschine die Zutaten nur nacheinander zusammenfügt, wenn der vorherige Rohstoff stimmt. "Das ist Qualitätskontrolle", sagt Köhler.

Die allerdings nichts nützte, käme der Zeitplan durcheinander. Jeder Teig braucht eine bestimmte Ruhezeit, das können Minuten sein oder Stunden. Vorher darf man da nicht ran. Damit die Produktion trotzdem nahtlos ineinander greift, arbeiten die Bäcker beim Brotmacher seit sechs Jahren nach produktbezogenen Zeitplänen auf einem sogenannten Teiglaufzettel. "Das hat sich mit der Zeit entwickelt", sagt Köhler. "Ohne genaue Organisation kriegt man die Parameter des Teigs nicht in den Griff. Das macht natürlich viel Arbeit, und davor scheuen sich viele. Denen geben die Tüten der Industrie die notwendige Sicherheit."

Die Liebe und der Magen

Damit hat Heinz-Gerd Köhler seinen Jahresumsatz auf zuletzt 6,8 Millionen Euro hochgeschraubt. Weil er bessere Produkte liefert, die sich besser verkaufen. Die Zahl seiner Filialen ist seit Jahren unverändert, dafür gewinnt er jedes Jahr rund hundert neue Stammkunden, die jeweils mehr kaufen als in seiner Zeit als Tütenbäcker. Obwohl er nicht schon morgens um sechs Uhr alles parat hat und auch nicht jeden Tag das volle Sortiment.

"Meine Kunden sind mit mir gewachsen", sagt Köhler. Sie haben gelernt, dass ein Brötchen nicht riesig und glänzend sein muss, um zu schmecken. Liebe ist eben nicht eine Sache des Scheins. Sie geht durch den Magen. -

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