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GEO Saison, Dezember 2008                                                                                             zurück zur Übersicht

Urlaub in Utopia

Im hellen Wahnsinn fehlt eigentlich nur ein Raumtaxi. Zumindest bis Redaktionsschluss gab es das noch nicht in Dubai. Aber das ist die Ausnahme. Dort, wo Hotels sich wie Segel blähen, das Meer glitzert und Häuser gen Himmel hetzen, wo genügsame Antilopen in der Wüste äsen und Personal Shopper durch den Souk führen, ist alles möglich. Vor allem: Märchen-Ferien.


Vor der Küste schieben Schwimmbagger und Planierraupen die Welt zusammen: Aus 300 künstlichen Inseln für Villen und Hotels wächst „The World“ heran. Das Meer legt einen silbrigen Dunstschleier über die Kolonie für Superreiche; jeder Flecken aus frisch aufgeschüttetem Sand stellt einen Staat oder eine Region dar, die man für 15 bis 50 Millionen Dollar kaufen kann. „Deutschland“ hat ein Österreicher erworben – für rund 20 Millionen. „The World“, schwärmt der dänische Innenarchitekt Jesper Godsk, „hat wahrhaft Dubai-Dimensionen. Mittelmäßige Sachen passen einfach nicht hierher.“

Jesper steht im 44. Stock des Luxushotels „Grosvenor House“ und lehnt den Kopf an die Wand aus blankpoliertem Glas. Durch die Panoramafenster der „Bar 44“ schwenkt sein Blick über die Stadt, die Wüste und das Meer. Zu seinen Füßen liegt die „Dubai Marina“. Hier verwandelten sich binnen weniger Jahre Fels und Sand in Wasser und einen neuen Stadtteil: Im künstlichen Kanal, umringt von mehr als 100 Wolkenkratzern, schaukeln Hochseeyachten zwischen den Restaurants und Bars am Ufer. Grellweiße Baustellenlampen flammen auf im Abendrot, denn am neuen Hochhausviertel bauen die Arbeiter Tag und Nacht – getreu Dubais Mantra: größer, höher, schneller, mehr.

Wo die Wolkenkratzer ihre Füße fast ins Meer tauchen, spannt sich die künstliche Insel „Palm Jumeirah“ fünf Kilometer weit ins blaugrüne Meer. Auf dem Stamm und den 17 Wedeln der Palme aus 94 Millionen Kubikmeter Sand und sieben Millionen Tonnen Gestein können schon bald Apartmentblocks und 1500 Villen bezogen werden. „Es geht alles schneller als gedacht“, staunt Jesper, „und es wird immer wilder. Ich fasse bis heute nicht, was hier alles möglich ist.“

Traum oder Wirklichkeit? In Dubai ist das nur eine Frage der Zeit. „Diese Stadt ist wie New York vor 100 Jahren“, sagt der Architekt, während ihn der Aufzug wieder hinab in den Alltag trägt. In eine Stadt, die nicht schlafen kann, die vor Kraft strotzt, die die Sinne berauscht, aber auch einen Kater provozieren kann.

Jesper spielt mit in diesem Legoland für Profis, deshalb kam er 1995 hierher. „Ich wollte mehr erreichen, als in Dänemark möglich ist“, sagt der 40-Jährige. Er hat es geschafft: Auf „The World“ kümmern sich die Architekten seiner Firma LW-Design um zwei der russischen Inseln und um Frankreich/Spanien. In Dubai City richtet Jesper gerade ein Hotel mit 1600 Zimmern und 21 Restaurants ein, in der Dubai Marina plant er einen 100 Etagen hohen Wohnturm. Dazu hat er Aufträge für so viele Villen, dass er aufhört zu zählen. „Dubai ist ein gigantischer Spielplatz“, sagt der Däne, „für einen Architekten gibt es keinen besseren Platz auf der Welt.“ Marmor aus Italien, feinste Hölzer, exklusivste Stoffe? Alles kein Problem.

Aber Tempo. In Jespers gläsernem Büro arbeiten bis zu 25 Architekten zeitgleich an einem Projekt. Sie fertigen die Bausteine, aus denen Scheich Mohammed bin Rashid Al Maktoum, der Herrscher von Dubai, die Zukunft seines Ölreichs zusammensetzt. Dubai – die globale Stadt. Das Handelszentrum und Touristenparadies, der Hort des Wissens und Finanzplatz erster Güte. Dieses Morgen muss sich möglichst rasch materialisieren, denn das Öl wird knapp im Emirat. „Scheich Mo“, wie der Emir liebevoll ironisch genannt wird, macht Druck. „Er duldet keine Langsamkeit“, sagt Jesper, „wenn er etwas will, muss es fix gehen.“ Dienstleister wie Jesper müssen da vor allem flexibel sein. Täglich ändern sich die Pläne. „Plötzlich erfährst du, dass vor ein Haus, das du gerade baust, noch ein Wolkenkratzer gesetzt wird.“ So reiht sich Turm an Turm. Und Investoren im Dubai-Rausch kaufen Wohnungen vom Reißbrett weg und schlagen sie schon Stunden später mit Rendite wieder los.

Jesper liebt diesen Strudel, die Dauerdosis Adrenalin. Im weißen Geländewagen schießt er über den Zubringer auf die bis zu zwölfspurige Sheikh Zayed Road und braust die rund 25 Kilometer bis in die Altstadt durch ein Spalier verspiegelter Bürotürme und Hotels. Hoch oben blinken die roten Signallichter der Hubschrauberlandeplätze. „Hier habe ich einige Hotelzimmer so eingerichtet, dass man vom Bett aus die ganze Straße überblicken kann“, sagt der Innenarchitekt. Seine Augen werden groß. „Genau darum geht es, weißt du.“

Rechterhand hetzt mit zwei neuen Stockwerken pro Woche der Burj Dubai gen Himmel. Am höchsten Haus der Welt schweißen und mauern rund um die Uhr 5000 Arbeiter, fast 700 Meter haben sie schon geschafft, mehr als 800 sollen es werden. Vor der Küste entstehen zwei weitere Wohn-Palmen, beide größer noch als die erste. Weit draußen in der Wüste durchmessen geleckte Asphaltpisten die Einsamkeit in Richtung „Dubailand“. Wo heute rot-weiße Absperrbänder im heißen Wind flattern, werden in wenigen Jahren das weltgrößte Einkaufszentrum und das weltgrößte Freizeitgelände Millionen Gäste anziehen, die sich in Themenparks – vom Dinosaurier bis zum Weltall – herauskatapultieren sollen aus dem, was man Realität nennt.

Dubai bewegte sich im Zeitraffer vom Kamel zum Cadillac. Aus dem Dorf der fünfziger Jahre schoss eine Zwei-Millionen-Metropole empor. Die historisch wirkende Jumeirah-Moschee ist gerade mal 30 Jahre alt. Es gibt kaum Spuren der Vergangenheit an diesem Scheichtum, das vor knapp zwei Jahrhunderten Beduinen gründeten. Stattdessen liegt eine Art Besinnungslosigkeit über der Stadt, die nicht immer schön, aber immer mitreißend ist. Kamelherden grasen neben achtspurigen Straßen, mitten im Nichts rücken plötzlich ganze Stadtviertel für ein paar zehntausend Menschen ins Blickfeld, fertig bis zur letzten Blumenrabatte, aber noch menschenleer. Und doch keine Fata Morgana.

„Das erste halbe Jahr findest du dich hier nicht zurecht“, sagt Jesper, „aber dann gewöhnst du dich daran, dass Dubai kein Zentrum hat. Hier ist alles nebeneinander, und jeder Stadtteil hat seinen eigenen Charakter.“ In der Altstadt ruft der Muezzin, in den reichen Vierteln reinigen Bedienstete den Pool, Geschäftsleute golfen auf Greens in der Wüste, Urlauber drehen ihre Runden auf den künstlichen Kanälen von Madinat Jumeirah, einem orientalisch-verschachtelten Wohn-Kauf-Ess-Tanz-Palast am Strand. Jesper zog vor Jahren mit seiner Frau und den beiden kleinen Söhnen aus dem wuseligen alten Zentrum ins wohlhabendere Jumeirah; bald will er in eine der wiesengrünen „gated communities“ wechseln – bewachte Wohnviertel, wo Betuchte unter sich bleiben. „Da hast du Ruhe und kannst sogar Fahrrad fahren“, sagt Jesper. „Für die Kinder ist das einfach wunderbar.“

Von Jespers Hotelbetten mit der grandiosen Aussicht sind es nur wenige Kilometer in eine Parallelwelt, die Dubai Wurzeln gibt und aus deren Erbe die Stadt noch heute Wachstum generiert: die Welt indischer und persischer Kaufleute, die schon Anfang des letzten Jahrhunderts aus dem Fischerdorf an der „Piratenküste“ des Persisch-Arabischen Golfs einen Handelsplatz machten.

Die Altstadt rechts und links des Dubai Creek, eines tief ins Land schneidenden Meeresarms, wirkt wie ein trotziger Kontrast zum Glitzer und Glamour. Statt allzeit frisch gewaschener Geländewagen zockeln im Stadtteil Bur Dubai sehnige Männer mit Transportkarren voller Stoffballen durch enge Gassen und versorgen hunderte Kleinhändler mit Nachschub. Ein kräftiger Geruch von gegrilltem Fisch, würzigem Chicken-Birijani und salzigem Meer liegt in der Luft. Am Hindutempel in einer engen Gasse hängen Blumenhändler schon morgens um sechs Uhr ihre Girlanden heraus, aus dem Heiligtum dringen Räucherstäbchenrauch und tranceartiger Gesang. Und abends um zehn sind die Bürgersteige noch dunkelbraun vor Menschen, die sich von der Hitze des Tages erholen.

Am Creek mischt sich das orientalische Aroma mit Dieselschwaden. Tag und Nacht tuckern Abras hinüber nach Deira, klobige Fähren für all jene, die sich kein Auto leisten können. Auf der anderen Seite spielt sich der Welthandel nicht in klimatisierten Büros ab, sondern in hunderten blinkenden Ladenschachteln, zum Bersten gefüllt mit allem, was China billig herstellt und Afrika begehrt: Ohrenputzer und Batteriewecker, Zahnpasta, Töpfe und quietschbunte Wäscheklammern. Energische Frauen aus Nigeria, Angola oder Tansania feilschen lautstark mit den Händlern. Sobald sie sich einig sind, ruckelt die Ware auf Karren hinunter an den Hafen, wo muskulöse Männer sie in altehrwürdige, nach Teer duftende Dhaus stapeln.

Hier am Wasser ist zu spüren, was Dubai schon immer war, lange bevor sein Himmelssturm begann – und was es noch immer ist: kein Traum aus 1001 Nacht, vielmehr ein brodelnder, duftender Hexenkessel. Wer daraus schöpft, kann Kraft gewinnen. Jesper schafft es nur noch selten in sein altes Wohnviertel. Einer seiner Lieblingsplätze, wo sich Dubais Wirklichkeiten überschneiden, ist ein Fischstand am Strand. Hier genießen Altstädter und Neubürger gemeinsam die Früchte des Meeres – und des Erfolgs. Derweil nagen Planierraupen schon an den Rändern der Altstadt und schlagen Breschen für die Zukunft. In Jespers Brust schlagen zwei Herzen. Geschichte oder Vision? Er hat gern dicht am Creek gelebt, er kennt die Gerüche und Geräusche. Doch nun scheint die Altstadt fast zu platzen vor Menschen. „Das Neue muss neu sein“, meint er. „Man kann die Vergangenheit nicht nachbauen. Und auch wenn Häuser fallen, bleibt doch die arabische Mentalität.“

Wenn er die Wahl hätte, würde der Architekt die Utopie der Nostalgie wohl meist vorziehen. Obwohl er weiß, wie eigenartig virtuell sich Dubais Realität manchmal anfühlt: „Morgens in der Halle Ski fahren, abends mit dem Kajak im Meer paddeln – und dabei auf die Wüste schauen“, sagt Jesper, „das ist wohl nur hier möglich.“ Eine künstliche Welt, die er doch miterschafft. Der 40-Jährige arbeitet hart, dafür lebt er mit seiner Familie den Traum vom guten Leben. Er ist dankbar – und kennt die Gefahren. Jedes Jahr reisen Frau und Kinder für drei Monate nach Dänemark. „Die Kinder verlieren sonst in dieser Traumwelt ihre Wurzeln.“ Zu den Emiratis hat auch Jesper kaum Kontakt. Sie stellen nur rund ein Zehntel der Bevölkerung und bleiben gern unter sich. „Wir sind letztlich Gäste“, meint er, „deshalb ist die Familie hier besonders wichtig. Sie ist meine Heimat.“

Wie der Däne suchen Menschen aus aller Welt in Dubai ihr Glück. Sind es 10000 oder 20000 Neuankömmlinge pro Monat? Die offiziellen Statistiken bleiben unter Verschluss. Bauarbeiter und Taxifahrer aus Indien und Pakistan, Kellner und Reinigungskräfte aus Indonesien, Prostituierte und Rettungsschwimmer aus Russland und Afrika, Ingenieure und Banker, Hotelfachleute und Immobilienmakler aus Europa und Amerika. In Dubai leben Menschen aus 180 Nationen unter dem einen blauen Himmel. Oft wollen sie hier nur ein paar Jahre verbringen, für Geld oder Karriere. „Und dann bleiben sie doch“, sagt Jesper, „so wie ich.“ In einer sicheren Stadt, in der niemand sein Auto abschließt. Die man immer wieder neu entdecken kann, weil sie sich stetig häutet. Wo Luxus für viele erschwinglich wird, weil niemand Einkommenssteuer zahlt und ein Heer von billigen Arbeitern die Arbeit in Wäschereien, Küchen, Villen und Tankstellen übernimmt.

Die Stadt, in der selbst der Sand in den Aschenbechern zu Blumen geharkt ist, zieht jedes Jahr mehr Touristen und Geschäftsleute nach Dubai, im vergangenen waren es fast sieben Millionen. Nirgendwo sonst finden sich so viele Fünf-Sterne-Hotels auf so kleinem Raum. „Dubai ist wie ein Nest für die Reichen dieser Welt“, sagt Siggi von Brandt, Manager des „Grosvenor House“ in der Dubai Marina. „Und weil es eine große Baustelle ist, muss der Service besser sein als anderswo.“ Im „Grosvenor House“ mit seinen 422 Zimmern etwa bereiten 900 Butler, Zimmermädchen und Kellner den Gästen den Himmel auf Erden.

Dort liegt auch Jespers liebster Platz: die „Buddha Bar“ – ein schummrig beleuchteter Edeltreff aus schwarzem Holz, Bronze und tiefem Rot. Er hat sie entworfen, und nun sitzt er hier an diesem Abend, schaut auf perfekt geschminkte Frauen in federleichten Kleidern, begleitet von Männern, die zum Anzug passenden Stolz tragen. Jesper isst hauchdünn geschnittenen Tunfisch, probiert Teriyaki-Hühnchen, tunkt knisternde Frühlingsröllchen in Pflaumensauce, spült mit Weißwein nach. Dubai hat ihm gegeben, was ihm Dänemark wohl kaum hätte bieten können: seine kühnsten Träume zu erfüllen. „Es ist toll, im eigenen Ambiente sein Bier zu trinken“, sagt Jesper und lehnt sich entspannt ins Polster. Auf der Toilette dreht ihm ein Angestellter in roter Livree den Wasserhahn auf und reicht mit einem Bückling das Handtuch.

Eine Wirklichkeit gewordene Fantasiewelt. Luxus und Laster, von Bethelnusssaft gerötete Altstadtstraßen und klimatisierte Bushaltestellen, Bürgersteigschuster und Investmentbanker – es ist, als hätte jemand die Essenz des Planeten über einem kleinen Stückchen Wüste ausgeschüttelt. Was für Jesper längst Alltag ist, vermag Reisende in einen Taumel zu versetzen. Kann das alles wirklich wahr sein? Und wo führt es hin?

Es ist die Milliarden-Dollar-Frage. Was geschieht, wenn Dubais Mantra einmal seine magnetische Wirkung verliert? Werden die Scheichs mit leeren Hochhäusern zurückbleiben, weil die globalen Job- und Rendite-Nomaden einfach weiterziehen zu fetteren Weiden?

Keiner kennt die Antwort. Aber es hat auch niemand Angst. „Dubai wird wachsen, bis es nicht mehr geht“, sagt Jesper. Und dann? „Wir leben hier von Visionen, und doch macht es keinen Sinn, zu weit voraus zu denken.“ Jesper zerbricht sich an diesem Abend nicht den Kopf. Er baut täglich ein neues Stück Zukunft. Schon morgen wieder. 

 

Portraits zur Dubai-Titelstory:

„Glamour“

Tammy Tinawi organisiert Partys für die Big Spender – Je spektakulärer, wilder und bunter, desto besser. Denn ihre verwöhnte Kleintel aus 180 Ländern lässt sich nur mit Superlativen ködern.

„Himmel“, flötet Tammy, „ist das nicht wunderschön? Der Strand hier, das Meer, das blinkende „Burj al Arab“?“ Tammy schwebt in winzigen Sandalen durch das Festzelt hin zur Tanzfläche unterm Sternendach. Fackelschein beleuchtet ihr Gesicht, das fruchtige Aroma der Shishapfeifen hängt in der Luft. Elegant schlängelt sich die 25-Jährige an zarten Japanerinnen vorbei, die sich an muskulöse Ukrainer schmiegen; hochgewachsene Schwedinnen drücken kleine Mexikaner in ihre Dekolletees. „Dubai ist so kosmopolitisch“, sagt die Party-Promoterin, „und hier steht keiner nur am Rand herum und traut sich nicht.“ Mit ihrem neuesten Baby, der Strandparty am Samstagabend, ist Tammy Tinawi glücklich. „Wenn du es in Dubai schaffst“, dichtet sie die Zeile aus Frank Sinatras New-York-Hit um, „schaffst du es überall.“

Die Nightlife-Zentrale des Nahen Ostens ist gespickt mit Bars und Clubs. International bekannte DJs legen Techno auf, House, R&B und Rock. Seit drei Jahren mischt Tammy mit, das ehemalige Model aus Brighton, und sie beherrscht die Spielregeln. 1. Merksatz: „Mehr ist mehr. Die Leute wollen zeigen, was sie haben. Teure Klamotten, einen tollen Körper, Geld für Champagner.“ Dafür reisen selbst die reichen Söhne aus Saudi-Arabien und Kuwait an. Auch junge Emiratis schleichen sich in die Clubs. Hier können sie sich gehen lassen. Große Auftritte werden gern gesehen; die „big spender“ sind wichtig fürs Renommee. Tammy verkauft ihnen Zwölf-Liter-Flaschen Schampus und Tische für 6000 Euro den Abend, mit eigener Kellnerin. „Ein bisschen scheinheilig ist das schon“, meint Tammy und nippt an ihrem Champagner. Nur in Hotels darf Hochprozentiges fließen, weshalb alle Bars und Clubs dort untergebracht sind. Den Emiratis ist Alkohol eigentlich verboten. Und Zugereiste dürfen sich keinesfalls betrunken auf der Straße erwischen lassen.

Der Stimmung schadet das nicht. „Es wird sehr wild“, sagt Tammy verschwörerisch. „Die Leute arbeiten hart. Und so feiern sie auch.“ Sie selbst mag es lieber entspannt. Und doch geht sie gern in Clubs, wo Partys manchmal an Exzesse grenzen. In die „New Asia Bar“ im „Raffles“, wo die Schickeria unterm Glasdach balzt. Oder ins „Mix“ im „Grand Hyatt“, wo Stroboskopblitze über ein entfesseltes Techno-Rudel zucken. „Dubai ist schneller als man selbst“, meint Tammy, „da verliert man leicht den Boden unter den Füßen. Aber für ein paar Stunden ist es wunderbar.“ Morgens um drei ist ohnehin alles vorbei. Scheich Mo will es so. Zwei Stunden später geht die Sonne auf, und Dubai muss Tritt fassen auf dem Weg in die Zukunft. 

 

„Kunst ist ein Abenteuer“

Die Galeristin Sunny Rahbar stellt Kunst aus, die in einer Welt der glatten Oberflächen ihre Stacheln zeigt.

Sunny ist aufgeregt. In wenigen Stunden müssen in ihrem weißen Kunst-Kubus alle Leinwände perfekt hängen – die Serie „Sleepless Nights“ der Iranerin Golnaz Fathi. Ironisierte Kalligrafien, minimalistische Linien, augenzwinkernde Kommentare zum islamischen Bilderverbot. Damit grenzt die neue Ausstellung in Sunnys „Third Line Gallery“ an Provokation. „Kunst in Dubai“, sagt Sunny mit einem Lächeln, „ist ein Abenteuer. Wir fangen gerade erst richtig an.“

The Third Line, die Galerie im Industriegebiet Al Quoz, zwischen Wäschereien und Baustofflagern, gilt als eine der wagemutigsten im Nahen Osten. Sunny zeigte einen Schlagring, auf dem „Allah ist groß“ stand. Eine Snoopy-Plastik mit Terroristenbart. Und in den „bedroom series“ ging es unverblümt um Sex.

Die Werke, die Sunny präsentiert, beziehen Position, viele verstören. „Ich will meine Besucher irritieren“, sagt die 30-Jährige, die vor vier Jahren die Galerie eröffnete. Als Tochter eines iranischen Kaufmanns wurde sie in den USA geboren, wuchs in Dubai auf, studierte Kunst in London und ging schließlich als Ausstellungsmacherin ans Guggenheim Museum in New York. „Politik, das Leben - wir brauchen neue Perspektiven. Ich liebe es, wenn die Leute sich nicht gleich einig sind.“

Im Jahr 2001 ist sie in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, wie viele Freunde. Modedesigner, Discjockeys, Filmemacher. Sunny reißt die dunklen Augen weit auf. „New York, London, Montreal – wir kommen aus so spannenden Städten. Jetzt wollten wir hier etwas aufbauen. Dubai war früher langweilig, aber das hat sich gewaltig verändert.“ Es siedelten sich bekannte Auktionshäuser an, und im letzten Jahr gab es mit der Gulf Art Fair eine erste große Kunstmesse. In Sunnys Nachbarschaft eröffnen immer neue Galerien. Themen wie Terror und Liebe, Konsumwahn und die Rolle der Frauen, Umweltschutz und surreale Fantasien finden darin ihren Platz. Was im Kontext der arabischen Welt keine Selbstverständlichkeit ist.

„Dubai ist relativ liberal“, sagt Sunny. Ihre Künstler stammen alle aus dem Nahen Osten. Darunter unbequeme Köpfe. „Diese Galerie ist eine ihrer wenigen Plattformen“, meint Sunny. Sie wünscht sich mehr Künstler aus der Region und findet kaum welche. Dafür viele Kunden. Vor allem weltgewandte, erfolgreiche Mittvierziger aus Dubai und den Emiraten, die Kunstwerke für 8000 bis 40000 Dollar als sinnvolle Investition ansehen.

Sunny hängt das letzte Bild auf. Schon drängen die ersten Besucher herein. Die Galeristin verteilt Küsschen. Bei allem Erfolg will sie ein kleiner Stachel in Dubais Konsenswelt bleiben.

Die Scheichs schmücken sich gern mit großen Namen. Zaha Hadid soll in Dubai eine weltbewegende Oper bauen. Rem Koolhaas arbeitet an einem Amphitheater. In Abu Dhabi werden das Guggenheim und der Louvre Dependancen eröffnen. Das Emirat Sharjah richtet alle zwei Jahre eine Biennale aus. Sunny findet das gut. Dennoch will sie Kunst nicht nur importieren. „Wir brauchen hier Kunstschulen und Ateliers. Damit etwas Eigenes entsteht. Noch suchen wir ja alle nach unserer Identität in dieser Stadt, die sich so rasant wandelt. Spannend, oder?“

 

„Wo sonst kann man so etwas erleben?“

Stille und Weite. Sturm und Nebel. Antilopen und Falken. Für Ranger Jörg Schäffler ist die Wüste der Reichtum.

„Die Wüste rostet jeden Tag ein bisschen mehr“, sagt Jörg Schäffler, während er seinen Jeep im Schritttempo über roten Sand steuert. Morgens um sieben Uhr brennt die Sonne die Nachtfeuchte der Meerluft aus den eisenoxidhaltigen Dünen rund um das Edel-Resort „Al Maha“, eine Autostunde südöstlich von Dubai. In wenigen Stunden würde Jörg darin stecken bleiben, weil die Hitze das Sandgefüge puddingweich macht. Weiße Oryx-Antilopen mit langen Hörnern trotten vorüber, 400 leben rund um Al Maha. „Nicht aussteigen“, warnt der Ranger, „die machen dich sonst zu Schaschlik.“

Die Wüste ist Jörgs Paradies. „Die Leute denken oft, das sei nur Sand“, sagt er in Schwäbisch. Jörg kam über Südafrika nach Dubai, um Touristen die Vielfalt seiner Welt zu zeigen: Unter gelb blühenden Ginsterbüschen graben Mäuse und Wüstenfüchse ihre Löcher, armlange Leguane huschen über schwarzen Stein. Oryxe tunken ihre Schnauzen in Wasserlöcher. „Sie können zwei Monate ohne Wasser auskommen“, sagt Jörg, „hier ist für sie das Land von Milch und Honig.“

Für Menschen ist es ein Ort der Stille. Gäste aus Dubai oder New York halten sie mitunter kaum aus, weil ihnen das Reizgewitter fehlt. „Sie können oft nicht schlafen“, sagt Jörg, zu ungewohnt ist die Ruhe. Aber mit der Zeit ergreift die Natur die Besucher, dann sitzen sie da, schauen einfach und genießen. Das Wechselspiel aus sandigen Wellen und Weite, samtigem Beige oder geriffeltem Rot, Gelb und Orange, übersät mit schwarzen Steinchen, über denen die heiße Luft tanzt.

„In Dubai werde ich verrückt“, sagt Jörg. Einmal die Woche fährt er in die Stadt, zum Einkaufen. Viel lieber hat er den Wind, der die Wüste ständig zu neuen Formen umschichtet. Im Winter rasen Stürme mit 80 Stundenkilometern und mehr über die Weite. „Da siehst du nur drei Meter weit und hast den Mund voller Sand.“ Mitunter färbt Regen die Wüste dunkel, der Sand duftet dann metallisch, und Jörg fährt auf hohe Dünen, wo er aus 100 Metern auf dichten Nebel schaut. „Wo sonst kann man so etwas erleben?“, fragt der Ranger und strahlt.

„Ich bin ein Naturtyp“, sagt Jörg. Dem Lieblingszeitvertreib der Emiratis kann er wenig abgewinnen. Die lassen am Wochenende die Luft aus den Reifen ihrer Geländewagen und jagen über die Dünen, geben Gas nach einer Woche im Dauerstau von Dubai. Jörg nimmt es gelassen. „Was soll’s, wir haben so viel Wüste hier.“ Er parkt den Wagen, stapft durch den Sand zu seinen Falken, einer großen Leidenschaft der Einheimischen. So wichtig sind sie den Scheichs, dass die Jagdvögel bei Dubais Fluglinie Emirates in der First Class fliegen, auf einem eigenen Ständer. Der Ranger nimmt einem Falken die Kappe vom Kopf, lässt ihn fliegen, schaut ihm nach. Bis der Vogel mit schnellem Flügelschlag verschwindet, wo Sand und Himmel flirrend verschmelzen und Jörgs Paradies kein Ende nimmt.

 

„Ich gebe das Geld anderer Leute aus. Ist das nicht fantastisch?“

Als „Personal Shopper“ leitet Kelly Lundberg Touristen und Expats durch Dubais Einkaufswelten. Vom orientalischen Souk bis zur Super-Luxus-Mall – sie weiß, wo und wie sie Kunden glücklich macht.

„Guck mal, würde mir das nicht toll stehen?“ Kelly schnappt sich mit geübter Hand ein grünes Kleid, hält es sich an und posiert vor dem Spiegel. Ihre Augen strahlen. Ihr Hirn kalkuliert. Dann seufzt sie kurz – und schwenkt hinüber zu den Handtaschen, wo sie sich ein schwarz-weißes Etwas aus Plastikpailletten über den Arm hängt. „Wundervoll. Ein bisschen schrullig, so wie ich es liebe.“

Kelly Lundberg streift durch die winzig-weiße „Suce“-Boutique in der kleinen Village Mall von Jumeirah. Die strubbelkurzen Haare blondiert, am Handgelenk einen exquisiten goldenen Armreif, am Ohr weiße Perlen. Ihr Ring passt zum rosa Ledermäppchen. So taucht sie ein in Dubais Warenwelt. Im Gegensatz zu vielen Besuchern findet sie auch wieder hinaus. Die 27-Jährige ist „personal shopper“. Mit ihrer Firma „Divine“ hilft sie Touristen, Zuwanderern und Geschäftsleuten durch die verwirrenden Einkaufsparadiese der Stadt. „Ich darf anderer Leute Geld ausgeben“, sagt die Schottin, die es als Stewardess nach Dubai verschlug, „ist das nicht fantastisch?“

Und dabei tut sie auch noch anderen Menschen einen Gefallen. Dem Ehemann, der in einer halben Stunde ein schickes Präsent für seine Frau braucht. Der russischen Geschäftsfrau aus dem Nobelhotel „Burj al Arab“, die 5000 Euro ausgeben will, aber nicht weiß, wie. Kelly führt sie zu De Beers. Sie liebt es, wenn ihre Kunden erst skeptisch sind und dann doch ein leises „Wow“ hauchen. „Das ist das Beste an meinem Job.“

Sie ist die Pfadfinderin für die rund 50 Shopping-Malls in Dubai. Klimatisierte Konsum-Oasen, eine Überdosis Pracht und Fülle. Mercato Mall – ein italienischer Marktplatz. Ibn Battuta – eine imaginäre Reise von Indien über Andalusien nach China, mit lebensgroßen Holzelefanten und dem Ruf des Muezzins zur Gebetszeit. Wafi Mall – ein prachtvoller ägyptischer Tempel. „Wie verrückt“, kann Kelly noch immer staunen. „Aber man muss wissen, wo man etwas findet. Sonst kriegt man überall nur dieselbe Designerware.“

Kelly steuert deshalb die verborgenen Ecken der Malls an, wo lokale Designer arabische Kopftücher in kühn geschnittene Tops verwandeln. Für einen guten Anzug schleppt sie ihre Kunden in die Altstadt, wo indische Schneider für kleines Geld feine italienische Stoffe auf den Leib messen. Auch Gold und Schmuck sind vergleichsweise günstig zu haben. Kelly kauft sie lieber im neuen klimatisierten Goldsouk im Viertel Bur Dubai als auf der anderen Seite des Creeks in Deira, wo die Händler eine ganze Straße in Goldglanz tauchen. Für den altmodischen offenen Gewürzsouk hingegen nimmt sie die Hitze in Kauf, schnuppert an Rosenblüten und Curryblättern, greift in dicke Säcke voller Hibiskus und Oregano.

„Dubai kann man schwer dosieren“, sagt Kelly. „Du kriegst hier alles, aber manchmal ist es einfach viel zu viel.“ Einen Tag die Woche nimmt sie sich frei. Aber jetzt muss sie los, eine Dschungelausrüstung besorgen. Für ein Kleinkind. 

 

„Wir leben in getrennten Welten.“

Der Pakistaner Imran Akhtar fährt Taxi. Menschen wie er halten die Maschine Dubai am Laufen.

Taxi K127 steht im Stau. „Das Übliche“, seufzt Imran Akhtar. Von allen Seiten werfen Hochhäuser die Sonnenhitze zurück auf die Straße. „Das ist meine Dubai-Perspektive“, sagt Imran, 29. Er wischt sich den Schweiß von der Stirn, klickt das Radio an, findet ein Klavierkonzert, schließt kurz die Augen und atmet durch.

Vor einem Jahr kam Imran aus Pakistan – „wegen des Geldes“. Sein Taxijob bringt ihm monatlich rund 500 Euro ein, viel mehr, als er daheim als Hausmeister und Buchverkäufer verdiente. Imran lächelt: „Rawalpindi ist schön grün.“ Seine Frau und die beiden Kinder, drei Jahre und sechs Monate alt, warten dort auf ihn. „Einmal im Jahr kann ich hinfliegen. Jeden Monat schicke ich ihnen 200 Euro. Oder mehr, wenn in der Familie Hochzeiten sind oder die Kinder einen Arzt brauchen.“

Menschen wie Imran halten Dubais Maschinerie am Laufen. Rund eine Million Inder und Pakistaner leben in der Stadt. Sie tragen Koffer, parken Autos, bauen Häuser und Straßen. An den freien Samstagen treffen sie sich in der Altstadt am Creek, stillen ihre Sehnsucht nach Heimat ein wenig durch eine Mahlzeit in einfachen Restaurants, aus ihren Handys dudelt Hindi-Musik.

Imran hat dafür selten Zeit, auch nicht fürs Kickboxen, seine große Leidenschaft. Er kreuzt täglich gut zehn Stunden durch die Stadt. „Europäische Kunden habe ich gern“, meint der Pakistaner, „die geben gutes Trinkgeld.“ Er mag es, von Fremden etwas über das Leben in anderen Ländern zu erfahren. Morgens fährt Imran Geschäftsleute zu Millionendeals, nachts bugsiert er sie in mondäne Hotelbars. Manche geben an einem Abend so viel aus, wie er in einem Monat verdient. „Darüber denke ich lieber nicht nach“, meint Imran, „wir leben in getrennten Welten.“

16 Uhr, Imrans Schicht endet nach 11 Stunden und 29 Minuten. Es war ein guter Tag. Nun noch eine Stunde durch den Stau nach Hause, in den 10. Stock eines Häuserblocks im billigeren Nachbar-Emirat Sharjah. In Wohnung 1004 leben 40 Taxifahrer in vier Zimmern. Imran knackt eine Coladose, wie immer nach Feierabend. Gleich wird er seine rot-weiße Uniform waschen, um 21 Uhr fällt er auf die Matratze. In seinem Zimmer teilen sich elf Männer sechs Eisenrohrbetten, sie schlafen in Schichten. „Anders können wir uns keine Wohnung leisten“, sagt Imran.

Ein Kollege breitet Zeitungen auf dem Boden aus, die Männer versammeln sich um Töpfe mit Reis und Huhn. Imran denkt an seine Frau und die Kinder. „Ich hätte nie gedacht, dass sie mir so fehlen.“ Ein halbes Jahr will er noch bleiben, bis die Gebühren für das Visum abbezahlt sind. „Dubai macht mich müde“, sagt Imran. Morgen früh um vier wird er den Motor wieder starten. K127 muss rollen, damit Dubai läuft.

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